Landwirtschaft, Therapiepraxen und Handwerksbetriebe: Sie alle beschweren sich über eine Bürokratie auf Rekordniveau. Sie befinden sich in guter Gesellschaft: Auch VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann fordert bürokratische Belastungen zu lockern. Ihm ist auch das aktuelle Bürokratieentlastungsgesetz IV zu kleinteilig und mit einem Entlastungsvolumen von einer Milliarde Euro „nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.“ Zwar sieht er in Berlin erste Zeichen, dass die Sorgen und Alarmsignale der Wirtschaft endlich gehört werden und unterstützt die Absicht von Wirtschaftsminister Robert Habeck, das deutsche Lieferkettengesetz für zwei Jahre auszusetzen, „voll und ganz“. Die Unzufriedenheit in den Verbänden ist jedoch mit den Händen greifbar. Das gilt insbesondere in Anbetracht der aktuellen wirtschaftlichen Situation.
Auch der Vorsitzende des VDMA Präzisionswerkzeuge, Stefan Zecha, versieht in Schrift und Ton das Wort „Bürokratie“ mit vielen aufrüttelnd gemeinten Ausrufezeichen. Auch aus seiner Sicht stellen die von der Legislativen auferlegten nicht wertschöpfenden Pflichten für den industriellen Mittelstand erhebliche personelle, organisatorische und finanzielle Belastungen dar. Sie hätten laut VDMA-Studie im vergangenen Jahr sogar die Höhe der Forschungs- und Entwicklungsausgaben erreicht. Hinzu kämen vergleichsweise hohe Steuern, so Zecha. Für das Jahr 2023 beziffert der BDI die durchschnittliche nominale Steuerlast in Deutschland mit fast 30 Prozent.
Eine Perspektive, die auch in anderen europäischen Ländern geteilt wird. Schon in der Pressekonferenz des VDMA Präzisionswerkzeuge zu Beginn des Jahres hatte der Vorsitzende der Fachabteilung Wendeschneidplatten, Markus Horn, als Past President der European Cutting Tools Association (ECTA) als erste zu lösende Herausforderung die europäische Gesetzgebung aufs Korn genommen. Die Bürokratie der EU würde viele Unternehmen in Europa schwer belasten und vor allem eines produzieren: Kosten.
Namentlich erwähnte er den EU Green Deal, die ab 2025 relevante Corporate Social Responsibility Directive, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive und den Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM. Letzterer soll verhindern, dass Industriesektoren in andere Teile der Welt verlagert werden. Gleichzeitig will Brüssel Anreize für Herstellerinnen und Hersteller in Drittländern schaffen, Emissionen zu reduzieren. „Die Grundidee dahinter ist gar nicht so schlecht. Doch aktuell sind europäische Exportunternehmen wegen der zusätzlichen Kostenbelastungen durch CBAM auf den Weltmärkten weniger wettbewerbsfähig und es gibt ein Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen in Drittstaaten“, sagt Horn.
Dass die Klagen über bürokratische Vorgaben seit einiger Zeit lauter ausfallen, liegt auch an der wirtschaftlichen Gesamtsituation. Der Druck steigt. Zwar berichteten die ECTA-Mitgliedsländer noch von einem guten Jahresauftakt 2023, hatten aber im weiteren Jahresverlauf mehr und mehr Absatzprobleme, sodass die Managerinnen und Manager zunehmend pessimistisch in die Zukunft blicken.
Blick in die Märkte
Dabei sahen die Zahlen für das vergangene Jahr gar nicht so schlecht aus. In Deutschland setzte der Markt für Werkzeuge trotz des schwachen gesamtwirtschaftlichen Umfeldes mit einem Plus von vier Prozent positive Akzente. Die nach Corona wieder funktionierenden Lieferketten und die dadurch stark gestiegene Inlandsproduktion der deutschen Automobilindustrie und die hohe Produktionsauslastung und Auslieferung im Maschinenbau machten sich zu Beginn des vergangenen Jahres positiv bemerkbar. Auch steigerte sich das Exportgeschäft insgesamt leicht um zwei Prozent – allerdings in den einzelnen Teilbranchen und nach Zielländern deutlich unterschiedlich.
Einheitlich und hartnäckig hält sich demgegenüber für alle Teilbranchen die Schwäche im Chinageschäft. Ganz anders Amerika. Praktisch der gesamte Kontinent nahm mehr Zerspanwerkzeuge aus Europa ab. Die Lieferungen in die Vereinigten Staaten stiegen in den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres um sieben Prozent. In den zweitgrößten Markt auf dem amerikanischen Kontinent, Mexiko, konnten 18 Prozent mehr Werkzeuge geliefert werden. Der drittgrößte amerikanische Markt, Brasilien, wuchs im gleichen Zeitraum um sechs Prozent.
In Deutschland blieb der Bedarf an Werkzeugen im Maschinenbau stabil. In Italien befand sich der italienische Werkzeugmaschinenbau im vergangenen Jahr sogar auf Rekordkurs, was zu einer guten Werkzeugnachfrage führte. In Spanien könnte der Maschinenbau im laufenden Jahr sogar von einer Beschleunigung bisher schleppend angelaufener Infrastruktur- und Förderprojekte profitieren und daher mehr Werkzeuge auf die iberische Halbinsel verkaufen.
Lediglich in Frankreich verlief das Geschäft mit dem dortigen Maschinenbau in 2023 schwach. Mit diesem Kundensegment erwartet die ECTA für dieses Jahr ein leicht rückläufiges Geschäft. Lichtblick in Frankreich ist die dortige Automobilindustrie. Sie produzierte 13 Prozent mehr Fahrzeuge. Und auch die spanische Automobilindustrie erwartet für 2024 ein solides Wachstum. Zwar legte die italienische Autoproduktion im vergangenen Jahr ebenfalls stark zu, jedoch sind die Aussichten für dieses Jahr deutlich verhaltener. Ebenso konnte sich die gute Entwicklung des ersten Halbjahres in der Schweiz nicht halten. Dass die Aussichten für 2024 verhalten sind, passt hier ins Bild.
Innovationen zum Anfassen
Präzisionswerkzeuge, Spannmittel oder Werkzeugbau – in keiner Teilbranche wuchsen im vergangenen Jahr die Bäume in den Himmel. Im laufenden Jahr aber haben auch sie es vermutlich mit größeren wirtschaftlichen Herausforderungen zu tun. In diesem Zusammenhang bietet die AMB, als international führender Marktplatz eine gute Möglichkeit, um vom 10. bis 14. September über neue Techniken und Innovationen das Geschäft anzukurbeln.
Neben Werkzeugen und Spannmitteln zeigt die AMB traditionell auch alle weiteren Aspekte der Metallbearbeitung: Werkzeugmaschinen und Fertigungsanlagen, Steuerungen und Antriebe, Automatisierungslösungen sowie Mess- und Prüftechnik. Beim Thema Industrie 4.0 können sich Interessierte zu intelligenten Netzwerken, CAD/CAM-Anwendungen, kollaborativer Robotik und KI informieren. Eine eigene Sonderschau gibt es von der von VDW und VDMA getragenen Initiative umati (universal machine technology interface). Sie wirbt seit einigen Jahren darum, im Maschinenbau offene Schnittstellenstandards auf Basis von OPC UA zu nutzen. Dabei zeigt die Sonderschau, wie Maschinen und Anlagen untereinander kommunizieren oder in kunden- und anwenderspezifische IT-Ökosysteme integriert werden. Um die maschinelle Interaktion dreht sich alles in der SmartFactory, einer vollautomatisierten Prozesskette im Eingangsbereich Ost.
Ergänzend zu diesem technologischen Feuerwerk, dass die AMB auch in diesem Jahr wieder zünden dürfte, wird es viele Diskussionen und Gespräche um die Rahmenbedingungen geben, in denen produziert wird. So richtet Stefan Zecha schon einmal seinen Appell an die Politik: „Sorgen Sie für offene Märkte, neue Freihandelsabkommen und den Abbau von Handelshemmnissen!“ Er fordert Wind- und Solarenergie wesentlich schneller auszubauen, die notwendigen Übertragungsnetze und H2-ready Gaskraftwerke zu errichten und Stromsteuern und Netzentgelte zu reduzieren. Nur so sei es möglich, den Klimawandel zu gestalten und den Fortbestand der Industrie in Deutschland zu sichern. Ach ja, ein Appell darf natürlich nicht fehlen: „Und sorgen Sie für einen schnellen Bürokratieabbau!“
VDMA Technologieforum
Fachbesucherinnen und -besucher erhalten auch bei der AMB 2024 wieder die Gelegenheit, sich auf dem VDMA Technologieforum im L-Bank Forum (Halle 1), Stand 1B50 zielgerichtet über innovative Zerspanungsprozesse, Spanntechniklösungen sowie Trends der Mess- und Prüftechnik zu informieren. In zahlreichen Kurzvorträgen präsentieren Expertinnen und Experten aus den VDMA-Mitgliedsunternehmen und den Forschungsinstituten, was heute schon möglich ist und morgen neue Möglichkeiten in der Metallbearbeitung bieten wird. Die Anwesenden werden Gelegenheit bekommen, mit den Expertinnen und Experten zu diskutieren und in persönlichen Kontakt mit Herstellerinnen und Herstellern zu treten. Ausgewählte Vorträge sind beispielsweise:
- „Sicher bis zum Standzeitende – Werkzeugüberwachung an der Zerspanstelle“
Dr. Matthias Luik, Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbH - „Präzise Werkzeuginspektion für die μ-genaue Zerspanung“
Arndt Fielen, ZECHA Hartmetall-Werkzeugfabrikation GmbH - „Der virtuelle Maschinenbediener: Paradigmenwechsel in der Präzisionszerspanung“
Dr. Christian Hörr, ZEISS Digital Innovation - „Effiziente Automatisierung braucht smarte Spannmittel“
Stefan Nitsche, HAINBUCH GmbH
Text: messe-stuttgart.de/amb/
Bild: Christopher Burns auf Unsplash