Wachstumspause nach Wachstumsmarathon – Umsatz aus deutscher Produktion sinkt 2019 voraussichtlich um 3 Prozent – Sondereffekte sorgen für Entkopplung von Herstellerabsatz und Endkundengeschäft – Industrie setzt auf klimafreundliche Technologien für das Agribusiness
Der VDMA rechnet 2019 mit einem leichten Dämpfer für die Landtechnik-Konjunktur. „Während die Weltproduktion stagniert, erwarten wir in Deutschland moderate Rückgänge des Produktionsumsatzes um etwa 3 Prozent. Die Agrartechnikindustrie erlebt nach einem Wachstumsmarathon eine Wachstumspause, die sich bereits in den Auftragseingängen und den Umsätzen bemerkbar macht“, sagt VDMA-Geschäftsführer Dr. Bernd Scherer.
Zweithöchster Umsatz aller Zeiten in Sicht
Nach den Rekordzuwächsen der Vorjahre prognostiziert der VDMA für das laufende Geschäftsjahr ein Umsatzvolumen aus deutscher Produktion von 8,4 Milliarden Euro. „Wir sehen aktuell eine konjunkturelle Abkühlung, aber keinen Weltuntergang. Schließlich werden wir das Jahr mit dem zweithöchsten Branchenumsatz aller Zeiten abschließen“, erläutert Scherer. Der VDMA-Geschäftsklimaindex für die Landtechnikindustrie macht deutlich, dass Spitzenmanager der Branche momentan verhaltener in die Zukunft blicken als noch vor wenigen Monaten. Zyklisch wiederkehrende Sättigungseffekte gelten als Charakteristikum der Branche, ein deutlicher Stimmungseinbruch in Industrie und Landwirtschaft ist derzeit jedoch noch nicht erkennbar.
Guter Absatz an den Handel, hohe Lagerbestände
„Wir kommen von einem sehr hohen Niveau. 2017 und 2018 erreichten wir zwei Rekordjahre hintereinander – mit sattem Wachstum der Produktion von jeweils 10 Prozent“, sagt Scherer. Das Hoch des vergangenen Jahres war allerdings in erster Linie dem guten Absatz an den Vertragshandel zu verdanken. Die Endverkäufe entwickelten sich dagegen schwächer, was zu hohen Lagerbeständen im Handel geführt hat. Mittlerweile haben sich die Geschäfte sichtbar eingetrübt; die Auftragseingänge der Landtechnik-Hersteller lagen im ersten Halbjahr 10 Prozent im Minus, wobei der deutsche Markt mit minus 14 Prozent ganz besonders stark abgekühlt ist.
Der VDMA macht dafür vor allem Sondereffekte verantwortlich. „Da sind zum einen die immer noch nicht ganz ausgestandenen Folgen der EU-Typgenehmigungsverordnung für Traktoren, die 2017 und 2018 für eine große Zahl von Händlerzulassungen sorgte und teilweise heute noch die Lager verstopft“, erläutert VDMA-Geschäftsführer Scherer. Aber auch in anderen landtechnischen Produktsegmenten werden außergewöhnlich hohe Lagerbestände beklagt. Branchenanalysten gehen davon aus, dass viele Händler ihre Lager vor allem aus Furcht vor möglichen Lieferengpässen gefüllt haben.
Landwirte weiterhin investitionswillig
„Es liegt auf der Hand, dass diese Entwicklung zumindest temporär zu einer Entkopplung von Händler- und Endkundenmärkten geführt hat“, resümiert Scherer. Die aktuelle Investitionsneigung in der Landwirtschaft belegt diese These, denn die Zahl der Landwirte mit kurz- bis mittelfristigen Investitionsvorhaben ist erstaunlich stabil. Vergleicht man die Kaufabsichten für Traktoren, Landmaschinen und zugehörige Softwaresysteme in den ersten beiden Quartalen sowie zu Beginn des dritten Quartals mit denen des Vorjahres, so ergeben sich nur sehr marginale Unterschiede.
„Dass viele Landwirte weiterhin in Kauflaune sind, verdankt sich der zunehmenden Innovationsgeschwindigkeit in Landwirtschaft und Landtechnik. Ökonomisch gesehen, bedarf es dazu freilich auch ordentlicher Einkünfte“, sagt Scherer. Die Rohstoffmärkte geben das derzeit her. Milch und Weizen, die europaweit wichtigsten landwirtschaftlichen Erzeugnisse, zeigen wertmäßig eine erstaunlich robuste Performance, da die globale Nachfrage nach hochwertigen Nahrungsmitteln ungebrochen hoch ist.
Bremsspuren auf dem deutschen Markt, Frankreich stabil
Sichtbare Bremsspuren prägen derzeit vor allem den deutschen Markt, während Frankreich, der wertmäßig größte Landtechnikmarkt Westeuropas, dem Konjunkturzyklus deutlich hinterherläuft und deshalb „eine positive Kompensationsfunktion für den Gesamtmarkt ausübt“, wie es Scherer formuliert.
Aber auch die gute, von staatlichen Investitionshilfen flankierte Einkommenssituation der französischen Landwirte spielt der Industrie in die Karten. Von auskömmlichen Einkünften profitieren außerdem die Südländer Italien und Spanien. Die Lage in Großbritannien bewertet Europas größter Branchenverband dagegen als eingetrübt: „Im Angesicht des Brexits waren bis zum Frühjahr enorme Vorzieheffekte zu beobachten. Die seither immer stärker sichtbaren Unsicherheiten haben dem Landmaschinengeschäft einen schweren konjunkturellen Einbruch von rund 20 Prozent beschert“, sagt Scherer.
107 Milliarden Euro Weltmarktvolumen
Auf dem Weltmarkt rechnen die VDMA-Statistiker 2019 mit einem Nullwachstum der landtechnischen Industrie bei einem Gesamtvolumen von 107 Milliarden Euro. Belastend wirkt sich branchenweit die Schwäche Chinas aus, wo im Vorjahr bereits ein Minus von 11 Prozent verbucht werden musste. Ein Ende der Talfahrt ist noch nicht in Sicht. „Das Grundproblem ist aber bekannt: Die meisten Betriebe dort sind klein, arbeiten nicht kostendeckend und hängen am Subventionstropf“, betont Bernd Scherer.
Der US-amerikanische Markt hat dagegen von deutlichen Steuererleichterungen profitiert. Im Vorjahr konnten Zuwächse von 9 Prozent realisiert werden. Und auch 2019 rechnen Amerika-Experten mit stabilen Verhältnissen. Eine Trendumkehr ist jedoch in Sicht. Schon jetzt türmen sich die Sojabestände. „Die Vereinigten Staaten scheinen allmählich in den Würgegriff jenes Handelskrieges zu geraten, den sie selbst angezettelt haben. Als lachender Dritter ist Brasilien in die Bresche gesprungen, um die USA als ehemals größten Exporteur von Sojabohnen zu beerben. Für mich verdeutlicht dieses Beispiel lehrbuchartig, warum es sich langfristig immer auszahlt, im offenen Wettbewerb um die besten Lösungen zu ringen“, sagt Scherer.
Landtechnik ist Problemlöser in der Klimafrage
Diese Erkenntnis sei auch in der sehr emotional geführten Klimadebatte hochaktuell, erläutert der Verbandsgeschäftsführer: „Um hier nachhaltig voranzukommen, ist nicht überbordende Regulierung, sondern ein technologieoffener Wettbewerb der Ideen und Lösungen gefragt. Unsere Industrie ist dafür bestens gerüstet, versteht sie sich doch bewusst nicht als Defensivspieler, sondern als proaktiver Problemlöser, Lieferant und Serviceprovider der Landwirte“, sagt Scherer. Wie stark die Effizienzleistung der Landtechnikindustrie schon heute ist, beweisen die signifikanten Fortschritte in der CO2- und Kraftstoffreduktion, die die Branche wissenschaftlich fundiert nachweisen kann.
Forschungsprojekt EKoTech quantifiziert Einsparpotentiale
In einem vom Bundeslandwirtschaftsministerium mit mehr als 5 Millionen Euro geförderten Forschungsprojekt zur Kraftstoffeffizienz im landwirtschaftlichen Produktionsprozess haben Wissenschaft, Industrie und Verbände in den zurückliegenden drei Jahren eindrucksvoll gezeigt, wie deutlich die CO2-Kurve seit 1990 gesunken ist und auch noch weiter sinken wird. Für das Kraftstoff-Konzept der Agrartechnikindustrie sind vor allem Prozesslösungen nötig, um die CO2-Emissionen bis 2030 massiv zu reduzieren. Nicht der isolierte Blick auf Motor oder Antriebsstrang führt hier weiter, sondern eine ganzheitliche Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette, die mit Bodenbearbeitung und Aussaat beginnt, sich in der Düngung und Pflanzenpflege fortsetzt und im Ernte- und Logistikprozess ihren Abschluss findet.
„Mit diesem einleuchtenden Ansatz konnten wir in unserem EKoTech-Projekt auf Basis von umfangreichen empirischen Erhebungen und Modellrechnungen überaus nennenswerte Effizienzsprünge im Gesamtprozess nachweisen. Ein Plus, das sich nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch bezahlt macht“, sagt Scherer. Das Forschungskonsortium hat mehr als 30 Maßnahmen vorgelegt, die auf einem hochkarätig besetzten Symposium mit Experten aus Industrie, Wissenschaft und Politik am 11. November auf der Agritechnica in Hannover der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Bild & Text: agritechnica.com